Versorgungsqualität unter ökonomischem Druck

17. November 2009 - Information und psychosoziale Begleitung sind wesentliche Bestandteile der Versorgung krebskranker Menschen. Ab Diagnosestellung ist ein Krebspatient/eine Krebspatientin darauf angewiesen, dass ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um sowohl einzelne Therapieschritte wie auch Nachsorgemaßnahmen angemessen zu planen und durchzuführen.

In der Zertifizierungskommission für Brustzentren wurde und wird - nicht zuletzt von der Frauenselbsthilfe nach Krebs - darum gerungen, Brustkrebspatientinnen unter Einbeziehung ihrer Bedürfnisse nach dem neuesten Stand der Wissenschaft qualitätsgesichert zu versorgen. Aufgrund gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Entwicklungen wurden jedoch die Spielräume für die Umsetzung der Zertifizierungsrichtlinien immer enger, sprich: der Kostendruck immer größer. Parallel dazu ist bei einer Brustkrebsoperation eine kontinuierliche Verringerung der Liegezeiten zu beobachten.

Diese Situation ist aus Patientinnensicht im Prinzip erst einmal positiv zu bewerten, da sich hierin medizinischer Fortschritt widerspiegelt, der der Patientin einen längeren Krankenhausaufenthalt erspart. Mittlerweile muss allerdings festgestellt werden, dass diese Entwicklung ihre Grenzen erreicht bzw. bereits überschritten hat. Nach einer Brustoperation sollten sich die verschiedensten Berufsgruppen die Klinke des Krankenzimmers in die Hand geben. Neben Arzt und Pflege sollten Vertreter der Physiotherapie, Psychoonkologie, Seelsorge, des Sozialen Dienstes, eines Sanitätshauses und - wenn die Patientin es wünscht - die Selbsthilfe am ihrem Bett erscheinen. Das alles sind wesentliche Bausteine der ganzheitlichen, klinischen Versorgung einer Brustkrebspatientin!

Die Realität allerdings sieht anders aus. Zurzeit erreichen uns sowohl von Patientinnenseite wie auch vonseiten der Brustzentren immer häufiger Klagen, die deutlich machen, dass eine qualitätsgesicherte Versorgung mit den oben aufgeführten Facetten kaum noch möglich ist. Aus fast 20% der zertifizierten Brustzentren in Deutschland gibt es Berichte, in denen geschildert wird, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) nach brusterhaltender Operation mit Sentinellymphknoten-Biopsie die Entlassung der Patientin schon am ersten postoperativen Tag einfordert. Die Begründung bezieht sich allein auf die Tatsache, dass die Operation mittlerweile für die Patientin sehr schonend und ohne größere Komplikationen vorgenommen werden könne.

Diese Ansicht des MDK macht deutlich, dass der besonderen Belastungssituation einer Frau mit einer Brustkrebserkrankung in keiner Weise Rechnung getragen wird. Es hat viele Jahre gedauert, bis unsere Forderung nach umfassender psychosozialer Betreuung als Qualitätsmerkmal in die Zertifizierungsrichtlinien aufgenommen und damit verbindlich wurde. Die heute üblichen zusätzlichen Versorgungsleistungen eines Brustzentrums, wie ausführliche patientenorientierte und -angemessene Gespräche, gemeinsame Therapieentscheidungen und gemeinsame Entwicklung eines Therapieplans, psychoonkologische Unterstützung, Kontakt zur Selbsthilfe und vieles mehr - sind damit im klinischen Alltag nicht mehr umsetzbar, die Patientin wird in ihrer existentiellen Not entlassen und allein gelassen - ungeachtet von Schmerzen, Laborwerten, möglichen Kreislaufproblemen, Nachblutungen, Wundinfektionen, Drainagen und dergleichen. Ist das der amerikanische Weg, Brustkrebsoperationen demnächst ambulant durchzuführen?

Die Frauenselbsthilfe nach Krebs empfindet es als bedenklich, ja unmenschlich und empörend, welche Haltung hier deutlich wird. Was nützen uns guter Austausch und Weiterentwicklungen in der Zertifizierungskommission, wenn letztendlich die Ökonomie das Geschehen bestimmt?! Wir fordern, dass die in medizinischen Leitlinien und Zertifizierungsrichtlinien beschriebene qualitätsgesicherte, evidenzbasierte Vorgehensweise für die unterschiedlichen Erkrankungssituationen nicht nur auf dem Papier steht, sondern von allen Beteiligten umgesetzt wird. Die Kostenträger, hier also primär die Krankenkassen, haben die gesellschaftliche Aufgabe, dieses zu ermöglichen; alles andere ist medizinisch unethisch und verstößt eklatant gegen die Interessen der Patientinnen.

Wir werden als Organisation, die schon seit fast 10 Jahren die Interessen krebsbetroffener Menschen gesundheitspolitisch vertritt, die Entwicklung zeitnah im Auge behalten und nach wie vor für eine bestmögliche Versorgung der Patientinnen eintreten.

Bundesvorstand der Frauenselbsthilfe nach Krebs