Lebenswege - Betroffene erzählen

Die NetzwerkStatt Krebs hat Geschichten von Betroffenen gesammelt. Sie stellen sich vor, berichten von ihren Erlebnissen und Erfahrungen. Mal zum Lachen, mal zum Weinen. Vielleicht erkennt Ihr Euch wieder.

Während meine Kleine sich neulich weigerte, Nudeln mit der Gabel zu essen, meine Mittlere recht bestimmt frische Sportsachen einforderte (Mensch, Mama!), begann mein zwölfjähriger Sohn am Küchentisch zu sinnieren: „Eigentlich wünscht sich ja jeder Junge im Grunde seines Herzens (pathetischer Blick) eine Zombie-Apokalypse auf der Welt“. Ich gucke verständnislos und darauf folgen wortreiche Ausführungen, wie er sich mit seinen Kumpels in Hinterhalte verstecken würde, den Zombies auflauern und sie dann umpusten und so weiter würde. (Herrje!)

Im September 2012 war ich von diesem Szenario gar nicht so weit entfernt, als mich die Diagnose Brustkrebs mit 37 Jahren, während der Elternzeit mit meiner jüngsten Tochter, ereilte. Am Boden zerstört, in Tränen zer- flossen. Zerbrochen von einem Augenblick auf den anderen. Mitten im Leben.

Was für eine grausame Aufgabe, meinen zauberhaften Kindern von meiner Krankheit zu erzählen. Und was für eine beeindruckende Erfahrung, deren Umgang damit zu erleben. Es gelang uns, aufmerksam und behutsam miteinander umzugehen. Verzweiflung und Trauer Zeit und Raum zu geben, ohne sie übermächtig werden zu lassen. Absolute Offenheit, tiefe Zuneigung und aufrichtiges Interesse prägten unsere Gespräche. Die ehrlichen Fragen der Kinder forderten von mir Antworten, die sie stets die Deutungshoheit über die Situation behalten ließen: Ich werde euch manches vielleicht erst sagen, wenn ich es richtig einschätzen kann, doch ich werde nichts verheimlichen und ich werde versuchen, alles so zu erklären, dass du und du und auch unsere Kleine es verstehen können. Dabei dürft Ihr euch sicher sein, dass sich hinter meinen Tränen keine noch schlimmere Nachricht verbirgt, sondern schlicht Traurigkeit über das, was wir wissen oder vielleicht auch Angst vor dem, was kommen könnte. Das wird bestimmt immer mal über mich kommen. Oder, wenn ich während der Chemotherapie schwach bin, versteckt sich dahinter keine Verschlechterung der Krankheit, sondern zeigt mein Körper, dass er zusammen mit dem Medikament gegen den Krebs ankämpft. Das ist anstrengend, doch indem ich ausruhe, schöpfe ich Kraft. Und manchmal, Ihr Süßen, habe ich auch einfach die Faxen dicke und werde liegen. – Entspanntes Geschmunzel breitet sich auf unseren Gesichtern aus.

Jede Mama wird an dieser Stelle nachvollziehen können, was daheim los ist, wenn sich Muttern außerplanmäßig hinlegen will. Also nicht nachts, wenn die Brut mehr oder weniger zufrieden in ihren Betten liegt und Mutters erschlaffter Körper nicht weiter auffällt, sondern tagsüber, wenn sie eigentlich Eier ausblasen, Windeln wechseln, Physikarbeiten unterschreiben und dabei über das dreiste Abfrageverhalten der Lehrerin empört sein soll. Hat die doch ausgerechnet das gefragt, was man ausnahmsweise nicht gelernt hatte. Unmöglich! Da hat sie sich doch bestimmt mit dem Englischleh- rer abgesprochen. Der macht das im Vokabeltest auch immer so. Ach, den umrahmten Kasten hätte ich auch abschreiben sollen!? Das wusste ich nicht, weil der doch nicht in die Zeilen passt. Ja, mein Sohn, vermutlich wurden die unregelmäßigen Verben von den Schulbuchautoren rot hinterlegt, um darauf hinzuweisen, dass sie keinesfalls abgeschrieben oder gar gelernt werden sollen. Die Jugend verdreht die Augen. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Dass ich innerhalb eines Augenblicks von den höheren physikalischen Weihen zur angewandten Physik zurückkehren muss, bringt meine Zweijährige mit sich, wenn sie beispielsweise Körper gegen Schwerkraft spielt. Und während ich „Heile Segen“ singe, wird meine Mittlere dadurch motiviert, mir sämtliche Strophen des Singspiels vorzutragen, das sie aktuell mit dem Schulchor einübt. Unterbrochen von Ausführungen, warum sie selbst die geeignetere Kandidatin für die Solorolle gewesen wäre als die eingebildete Tussi (der Part wird stimmgewaltig angesungen) und dass sie bei der einen Text- stelle mal „Schwein“ statt „Wein“ gesungen hätte (wieder ein Tonexempel, diesmal verzerrt durch hysterisches Gekicher). Außerdem, guck mal, Mama, wie hoch ich singen kann (kreisch). Die Kleine kreischt mit, denn sie will endlich ihr Pflaster. Ich verklebe ihr Knie, drücke sie an mich, sie streichelt mich versonnen und sagt: „Diese Buse ist da. Diese ist nicht da. Die war krank.“

Ich erinnere mich an den Tag, als meine Klebemarkierungen der Strahlenklinik angebracht wurden und mein kleines Mädchen fasziniert bemerkte: „Mama, Pflaster und rot gemalt! Und blau!“ Täglich hat meine kleine Breast Care Nurse kontrolliert, ob sich auch kein Kleber aufrollte, bis die Dinger für sie normal und uninteressant wurden. Und doch war sie die erste, die deren Entfernung nach Therapieende bemerkte und sie kommentierte mit hochgerissenen Ärmchen und den Worten: „Jaaa, Mama! Du bist frei!“ Und in dem Moment fühlte ich mich auch so.

Einen Großteil dieses Artikels habe ich übrigens mit einem Klemmbrett auf dem Knie geschrieben – so viel noch zum Thema Freiheit – während ich unermüdlich dazu aufgefordert wurde, „Alle meine Entchen“ als selbst komponierte Rockversion auf dem
Keyboard anzuhören (Ja, ich höre es, obwohl du ein Stockwerk höher bist), die Kugelbahn sofort mit neuen Murmeln zu befüllen (sie sind alle unterm Schrank) und den neuesten Youtube-Star auf einem Miniaturbildschirm witzig zu finden (Kind, ich bin zu alt für den Mist!). Das war jetzt aber ein langer Satz! Mit dem Durchhaltevermögen und Ideenreichtum meiner Kinder hätte ich den aber noch länger machen können. Also wollen wir es mal so hinnehmen.

Eben diese Situationen, kleine Realsatiren im Alltag, sind die Neulasta-Spritzen für mein Seelchen – Aufrieb, das Normale weiter zu lieben. Und es wirkt!

Während ich also weiter versuche, die Schlachtpläne meines Sohnes zur Zombieabwehr aus dem Hinterhalt nachzuvollziehen, fallen mir Sätze meines Arztes ein, die mir letzten Herbst die geplante Behandlung erläuterten: Wichtig ist jetzt nicht, so schnell wie möglich zu handeln, sondern so gut wie möglich. Dabei geht es nicht um radikale Eingriffe, sondern darum, den Krebs geschickt auszutricksen. Wie passend! Schmunzelnd ein Tränchen verdrückend lege ich mich zu meinem Sohn in den Hinterhalt – äh… auf die Couch, meine ich natürlich.

Quelle: Sandra, Damit leben – darum leben, Mamma Mia, 04/2013, S. 10-11

Im November stellte ich fest, dass ich erneut schwanger war. Bis zur 16. Schwangerschaftswoche hatte ich mit starker morgendlicher Übelkeit zu kämpfen, deutlich ausgeprägter als in der Schwangerschaft mit meiner Tochter Selma 2 Jahre zuvor. Als das schließlich ausgestanden war, erwischte mich ein Atemwegsinfekt mit starkem Husten. Im Rahmen eines Hustenanfalls erlitt ich plötzlich einen starken Schmerz im linken Brustkorb, ich konnte schmerzbedingt nicht mehr durchatmen. Ich vermutete, mich durch den starken Husten muskulär verspannt zu haben und suchte meinen Physiotherapeuten auf. Mit einer sehr wohltuenden Massage konnte der Schmerz im Brustkorb zwar nicht gelindert werden, aber dafür entdeckte der Behandler einen sehr dicken Lymphknoten oberhalb des linken Schlüsselbeines.

Am nächsten Tag hatte ich Fieber entwickelt und eine Nasennebenhöhlenentzündung – meine Erklärung für den geschwollenen Lymphknoten.

Die nächsten Wochen setzten sich mit ständig kommenden und gehenden Infekten fort. Ich fühlte mich sehr angeschlagen und reduziert leistungsfähig, war nach meinem Arbeitstag in der Klinik und der Versorgung meiner Tochter zu Hause abends zeitig bettreif.

Und ich stellte eher erfreut fest, dass sich meine Gewichtszunahme sehr in Grenzen hielt J: bis dahin knapp 3 kg.

In einer Feinultraschalluntersuchung fiel in der Messung des Bauch-/ Brustdurchmessers auf, dass das Kind verhältnismäßig klein war. So wie bei einer rauchenden Mutter (die ich nicht war). Da alle anderen Messwerte aber im Normbereich lagen, kein Grund zur Sorge.

Bei einer Routine-Schwangerenvorsorge zeigten sich dann ein bereits teilweise eröffneter Muttermund als Folge von mir nicht verspürter muttermundwirksamer Wehen – Zeit für Couchsitting. Als nach zwei Wochen immer noch keine Stabilisierung der Muttermundverhältnisse eingetreten war, entschied meine ambulante Gynäkologin, mich in die Klinik mit V.a. eine Plazentainsuffizienz einzuweisen, um eine eventuelle Frühgeburt zu verhindern und zu erreichen, dass das Kind noch ein Bisschen Zeit zum Wachsen hat.

Im Aufnahmegespräch mit der dortigen Ärztin fragte ich, ob die Plazentainsuffizienz Folge einer Infektion zum Beispiel mit Cytomegalie oder dem Ebstein-Barr-Virus sein könnte. Sie fragte, wie ich darauf käme – da wies ich auf eine meine inzwischen sehr beträchtliche Lymphknotenschwellung am Hals hin.

Am nächsten Tag wurde ich HNO-ärztlich vorgestellt und man entschied, einen Lymphknoten zur weiteren Diagnostik bereits am folgenden Werktag zu entnehmen. Dies passierte dann am Dienstag nach Pfingsten. Zwei Tage später wurde die Drainage entfernt und ich sollte eigentlich aus der Klinik nach Hause entlassen werden, da wir das Medikament zur Entwicklung einer Lungenreife beim ungeborenen Kind gespritzt hatten und eine drohende Frühgeburt nunmehr kein großes Drama wäre. Im Abschlussgespräch fragte mich die gynäkologische Ärztin, was die HNO-Kollegen gesagt hätten: „Der Befund aus der Pathologie liegt noch nicht vor“, hatte man mir mitgeteilt. Darauf schaute mich die Oberärztin an und sagte: „Frau Sch., ich habe den Befund, der Pathologe hat mich angerufen: Es ist ein Hodgkin-Lymphom“.

Informationen zum Hodgkin-Lymphom

Das Hodgkin-Lymphom (Lymphogranulomatose) ist ein Lymphdrüsenkrebs, welcher primär Lymphknoten befällt aber auch nicht lymphatisches Gewebe betreffen kann. Jährlich erkranken 2-4 pro 100.000 Personen, am häufigsten im Alter des 3. Lebensjahrzehnts. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

Zu bemerken ist die Erkrankung durch nicht-schmerzhafte geschwollene Lymphknoten, am häufigsten in der Halsregion sowie Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, Fieber, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust.

Die Diagnose wird durch eine histopathologische Untersuchung eines entnommenen Lymphknotens gestellt, in welcher sich die typischen Hodgkin- sowie Reed-Sternberg-Zellen nachweisen lassen. Es erfolgen weiterführende Untersuchungen in Form von Ultraschall, Röntgen, Labor und Knochenmarkbiopsie um eines der vier Stadien zu ermitteln und ein Therapieschema auswählen zu können.

Therapie des Hodgkin-Lymphoms

Je nach Stadium erhalten die Patienten eine Polychemotherapie oder eine kombinierte Chemo- und Strahlentherapie. Die gängigsten Chemotherapieschemata sind dabei BEACOPP-eskaliert sowie ABVD.

Das Therapiekonzept ist primär kurativ (also heilend; im Vergleich zu palliativen Konzepten). Das Hodgkin-Lymphom gehört zu den malignen Erkrankungen des Erwachsenen, die stadienunabhängig die höchste Heilungsquote haben.

Krankheitsverlauf

„Aber das Gute ist: der Hodgkin ist gut behandelbar. Und jetzt warten wir nicht mehr ab, sondern lassen das Kind kommen.“

Also leiteten wir am Tag nach der verkündeten Diagnose die Geburt ein. Während die Wehen zunahmen, besprach ein Hämatologe die ersten wichtigen Dinge bezüglich meiner Krebserkrankung mit mir und meinem Mann. Wir sollten uns erstmal Zeit nehmen für die Geburt und unser Kind, das Hodgkin-Lymphom ist in allen Stadien gut behandelbar mit guter Prognose, also kein Grund zur Eile… Auf meine Frage riet er zum Stillen, da die Chemo ja noch nicht in den nächsten Tagen zu erwarten wäre. Anders als bei anderen Krebserkrankungen (z.B. manche Arten von Brustkrebs) kann diese Chemo nicht in der Schwangerschaft erfolgen.

Alles lief glatt und kurz nach Mitternacht am 25.05. erblickte mein Sohn Leopold mit 42 cm Körperlänge und 2100 Gramm das Licht unserer schönen Welt.

Zwei Tage machten wir es uns gemütlich, dann begannen die Termine zum Staging und die organisatorischen Dinge.

Ich bekam Fieber, nahm täglich Gewicht ab und musste wieder stärker Husten. Nach einer Woche durfte ich mit meinem Sohn nach Hause. Eine Woche nach der Geburt musste ich abstillen weil ich keine Kraft mehr hatte und mich zu schwach fühlte. Inzwischen hatte ich auch Luftnot bekommen.

So verwunderte es nicht, dass am Folgetag das ganze Ausmaß der Tumorerkrankung eines späten Stadiums bekannt wurde mit einem großen mediastinalen Befall inklusive Einengung der Luftröhre sowie Herden in der Lunge. Ich erhielt am gleichen Tag notfallmäßig eine Computertomographie und begann nach Abschluss dieser Staginguntersuchungen mit der Vorphase der Chemotherapie in Form von Dexamethason.

Es folgten 5 richtig gute Tage, denn das Zeug wirkt hervorragend und kaschiert die lästigen Symptome.

Dann kam der erste Chemotherapietag. 6 Zyklen mit jeweils 2 Therapietagen im Abstand von 10 Tagen waren veranschlagt. Die erste Hälfte ließ sich ganz gut vertragen. Lediglich am zweiten und dritten Tag nach Chemo konnte ich nur liegen und fühlte mich kraftlos, Duschen war ein Tagwerk für mich. An den übrigen Tagen fühlte ich mich aber halbwegs wohl.

Nach der dritten Chemo begannen die Haare auszufallen – ein sehr befremdliches Gefühl, der absolute Kontrollverlust. Als ich nichts mehr übereinander kämmen konnte und mich dabei ertappte, nur noch mit Sonnenhut aus dem Haus zu gehen, entschied ich mich dafür, die restlichen Haare gehen zu lassen und fuhr mit meiner zuvor ausgesuchten Perücke zum Friseur. Angeschaut habe ich mich selbst später zu Hause, nachdem mein Mann mich zuerst mit Glatze gesehen hatte. Sein Gesicht zu sehen gab mir genug Sicherheit für einen eigenen Blick in den Spiegel. Meine Tochter bemerkte: „Mama sieht ganz anders aus. Mama hat keine Haare mehr.“ Damit war das Thema durch.

Ab der zweiten Chemotherapiehälfte hatte ich deutlich stärker mit den Nebenwirkungen zu kämpfen, im Vergleich zu vielen anderen Patienten aber immer noch moderat. Mehrere Infekte/ Lungenentzündungen erzwangen Therapiepausen und stationäre Krankenhausaufenthalte, so dass sich die Gesamtdauer der Chemo verzögerte. Ich bat um eine Portimplantation, da die Chemotherapeutika in den Venen sehr schmerzhaft brannten und ich das Gefühl hatte, das nicht mehr auszuhalten. Die Portimplantation schlug leider fehl, dafür hatte der Plexus brachialis, ein Nervengeflecht, die Punktionsnadel zu spüren gekommen… Letztendlich fanden wir einen gemeinsamen Weg mit meinen behandelnden Ärzten in Form einer Anlage eines zentralen Venenverweilkatheters in der Halsvene an den jeweiligen Therapietagen und Entfernung am Ende des Tages. Damit kam ich gut zurecht.

Im weiteren Verlauf lagerte ich Wasser in der Lunge ein und bekam entsprechend schlechter Luft. Mit entwässernden Medikamenten ließ sich das aber gut behandeln.

Die Blutzellen bildeten sich im Verlauf deutlich schlechter nach, so dass ich nach der drittletzten Chemogabe eine Bluttransfusion benötigte. Das ist ein Bisschen wie Doping: mit Luftnot und total erschöpft in die Klinik und drei Stunden später nach zwei „Konserven“ freudestrahlend in die Kita, um das große Kind abzuholen!

Krebserkrankung mit kleinen Kindern

Nach der Geburt unseres Sohnes begannen für meinen Mann und mich die Überlegungen, wie wir die nächste Zeit mit den zu erwartenden Therapien, Ausfallzeiten zu Hause und eventuell erforderlichen Krankenhausaufenthalten bezüglich unserer Kinder organisieren sollten.

Ursprünglich hatten wir geplant, dass ich ein Jahr Elternzeit nehme und unseren Sohn zu Hause versorge, während unsere Tochter weiterhin die Kita besucht. Nun wurde klar, dass das also nicht funktionieren würde.

Ich bat noch auf der Wöchnerinnenstation um einen Kontakt mit dem Sozialdienst. Die Kollegin informierte mich über das Konzept der Notmütter, die bei Erkrankung eines Elternteils in die Häuslichkeit kommen und bei Kinderbetreuung unterstützen sowie Haushaltstätigkeiten übernehmen.

Nach Antragstellung gewährte meine Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Haushaltshilfe für 8 Stunden täglich – in der ganzen Zeit haben uns so 6 verschiedene Notmütter montags bis freitags unterstützt und vor allem den Leopold versorgt, als es mir gesundheitlich nicht möglich war oder ich Termine wahrnehmen musste.

Die Kollegin des Sozialdienstes war es auch, die uns geraten hatte, frühzeitig ein soziales Netz aufzubauen, um im Bedarfsfall Freunde, Bekannte etc. zu kontaktieren, die ggf. kurzfristig einspringen können, um zu helfen. Also erstellten wir eine Telefonliste unserer Freunde, Bekannten und Nachbarn, informierten alle über unsere Lage und fragten direkt nach, ob wir sie zwecks Hilfestellung im Bedarfsfall kontaktieren dürften. Alle sagten zu. Diese Liste hing sehr lange Zeit an unserem Kühlschrank.

Trotz allem organisatorischen Aufwands in dieser Zeit waren für die Kinder feste Strukturen wichtig; so etablierten sich einige Rituale, z.B. die allabendliche Exklusivzeit für jedes Kind täglich abwechselnd mit Mama oder Papa. Eine besondere Zeit durfte meine Tochter ca. einmal in der Woche bei unseren Nachbarn erleben, bei denen sie allein spielen konnte und sich die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sie richtete.

Trotzdem litt Selma unter der Situation, auch wenn sie das nicht klar formulieren konnte. Sie benahm sich oft widerspenstig, schlechte Träume und Nachtschreckereignisse waren an der Tagesordnung, auch noch, als die Chemotherapie schon hinter uns lag. Es gab Beschwerden durch einzelne Nachbarn und sogar einen Besuch des Jugendamts bei fraglich auffälligem Verhalten. Bis heute bereitet es meiner Tochter Probleme, wenn ich krank bin oder es mir einfach mal nicht so gut geht oder wenn ich für eine Nacht auswärts unterwegs bin – das Vertrauen in das „verlässliche immerbeständige Mamadasein“ ist noch nicht wieder vollständig aufgebaut.

Unterstützung während der Krebserkrankung und Chemotherapie

Während der Chemotherapiephase nahm ich einige der zahlreichen Unterstützungsangebote wahr, die ich durch die örtliche Krebsberatungsstelle erhielt. So ließ ich mich psychotherapeutisch begleiten und besuchte eine Tagesklinik für Naturheilkunde, nicht zuletzt, um einfach Zeit mit mir selbst zu verbringen, was mir zu Hause nicht gelang.

Durch den Sozialdienst gelangte ich auch in die Familiengruppe der Frauenselbsthilfe nach Krebs, die ich zusammen mit meinem Mann und den Kindern einmal im Monat besuchen konnte. Ich hatte das Gefühl, dass das ein wichtiger Schritt auch für meine Familie ist, denn die Familienmitglieder eines Erkrankten sind meist mit ihren Sorgen und einer gewissen Hilflosigkeit allein.

Krebs und Selbstbestimmung

Wichtig waren auch regelmäßige Telefonate mit Freunden. Mir hat der offene Umgang mit meiner Erkrankung, dass alle immer über alles Bescheid wussten, sehr geholfen. Ich hatte keine Hemmungen, einfach anzurufen, wenn ich das Bedürfnis hatte zu reden. Im Verlauf traf ich mit mir selbst die Abmachung, dass in jedem Gespräch 10 Minuten dem Krebs gehören – und danach sollte etwas anderes Thema sein. Der Krebs brauchte seinen Raum, aber zu viel davon wollte ich ihm auch nicht einräumen. Schließlich gab es noch andere Dinge, über die es sich zu reden lohnt.

Ich versuchte mich auf die Dinge zu konzentrieren die möglich waren und mich nicht darauf zu fokussieren, was nicht möglich war. Ich war sicherlich nur eingeschränkt in der Lage, meinen neugeborenen Sohn zu versorgen und ich konnte ihn nicht stillen, was mich sehr traurig machte. Aber ich konnte z.B. nachts Zeit mit ihm allein verbringen, ihm die Flasche geben und mit ihm kuscheln – das waren Momente, die nur uns beiden gehörten und die ich uns ganz bewusst verschuf.

„Leben heißt, nicht zu warten bis der Sturm vorüber zieht, sondern zu lernen, im Regen zu tanzen.“ Man kann nicht beeinflussen, ob einen eine Krebserkrankung ereilt, aber man kann bis zu einem gewissen Grad selbst bestimmen, wie man damit umgeht. Es gibt eine Menge Gestaltungsspielraum und den sollte man unbedingt nutzen!

Rehabilitation nach Krebs

Am Ende der Chemotherapie hatte ich ziemlich an körperlicher Kraft eingebüßt. Letztendlich konnte ich maximal 250 m am Stück zu Fuß zurücklegen und der Alltag gestaltete sich entsprechend schwierig.

Glücklicherweise rehabilitiert man sich v.a. als junger Mensch schnell und so konnte ich in der Rehabilitation durchstarten und meine körperliche Leistungsfähigkeit soweit bessern, dass ich nach vier Wochen in der Lage war, zu schwimmen und 20 Minuten Aerobictraining durchzuhalten.

Eine Rehabilitation dient der Wiedererlangung der Körperfunktionen, der psychischen Stabilisierung, der Informationsgewinnung bezüglich der Erkrankung und ggf. der Wiedereingliederung ins Berufsleben.

Arbeiten nach einer Krebserkrankung

Während des Mutterschutzes lief mein Arbeitsvertrag aus. Bereits im Laufe der Chemotherapie entschied ich mich dafür, an meine frühere Arbeitsstelle zurückzukehren und nahm im Anschluss der Reha Kontakt zu meinem ehemaligen Chef auf. Ich hatte bereits während der Chemo die Verbingung zu meinen früheren Kollegen gehalten und meine Erkrankung war im Team bekannt. Mein Chef freute sich zu hören, dass ich zurückkehren wollte und bot mir eine angepasste Arbeitsstelle wie von mir gewünscht an: Vollzeitbeschäftigung ohne Nachtarbeit, denn dies war im Rahmen der Rezidivprophylaxe nun für mich nicht mehr empfohlen.

Als mein Sohn ein Jahr alt geworden war, nahm ich also meine frühere Tätigkeit als Assistenzärztin in der kardiologischen Reha wieder auf.

Anfangs musste ich mir meine professionelle Distanz zu den Patienten erst einmal wieder erarbeiten. Ich hatte ca. 2 Wochen lang mit Rollenkonflikten zu tun, die sich letztendlich aber auflösen ließen.

Inzwischen weiß ich meine persönliche Erfahrung für meine Patientenarbeit zu nutzen. Im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses kann es von Vorteil sein, „aus dem Nähkästchen zu plaudern“ und damit zu erreichen, dass sich Patienten tatsächlich verstanden fühlen, weil man ähnliches erlebt hat. Manchmal ist das von unschätzbarem Wert hinsichtlich der Vertrauensbasis in der Patientenbehandlung.

Meine Arbeitstage gestalten sich nicht anders als früher. Manchmal fühle ich mich schnell erschöpft, was ich allerdings eher der Gesamtbelastung mit zwei kleinen Kindern zuschreibe als der Krebserkrankung.

Langzeitfolgen und Nachsorge

Beeinträchtigt fühle ich mich in jedem Fall durch viele Infekte; insbesondere innerhalb der Wintermonate gab es nur wenige infektfreie Phasen und gelegentlich führte dies auch zu krankheitsbedingten Arbeitsausfällen.

Aller 3 Monate stelle ich mich ambulant zur Tumornachsorge vor. Dann werden Blut-, Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen durchgeführt, um ein eventuelles Tumorrezidiv frühzeitig zu erkennen und sofort behandeln zu können.

Bisher verliefen alle Untersuchungen ohne Auffälligkeiten.

Autorin: Jessica

Im Jahr 2010 bin ich mit unserem Wunschkind schwanger. Das Baby soll Mitte Oktober zur Welt kommen. Wir erfahren, dass wir ein kleines Mädchen bekommen werden und freuen uns sehr auf unser Kind.

Am 10. September 2010 bekomme ich meine Brustkrebsdiagnose. Da bin ich gerade eine Woche im Mutterschutz. Ein Schock, ein riesengroßer Schock für meinen Mann und mich, unsere Familie, das persönliche Umfeld. Wie nah Freud und Leid doch zusammen liegen. Ich habe große Angst. Werde ich mein Kind aufwachsen sehen können?

Ganz langsam gewöhnen wir uns an die Situation, informieren uns, lenken uns aber auch ab und freuen uns auf unser Baby. Trotzdem, immer wieder Abstürze, Angst, Panik. Was kommt auf mich/auf uns zu? Wie wird es werden mit einem Säugling und einer Krebstherapie? Werde ich es packen und wieder gesund werden?

Meine Hebamme ist eine große Stütze für mich, fängt mich auf und hilft uns, Entscheidungen in Bezug auf das Baby zu treffen.

Keine Woche nach der Diagnose werde ich brusterhaltend operiert. Mit dem Baby im Bauch.

Sie soll noch etwas wachsen dürfen und die Chance bekommen, freiwillig auf die Welt zu kommen. Vor, während und nach der Operation wird das Baby die ganze Zeit per CTG überwacht. Es geht ihr gut. Auch ich verkrafte die Operation ganz gut und darf einen Tag später zum Wochenende nach Hause.

Eine gute Woche nach der Brust-OP geht es ins nächste Krankenhaus, um die Geburt des Babys einzuleiten. Wir sind aufgeregt und etwas angespannt. Ich habe etwas Sorge, dass das Baby doch noch per Kaiserschnitt geholt werden muss. Endlich, am Abend des 4. Einleitungstages, tut sich nach veränderter Medikation etwas. Am 1.10.2010 kommt unsere Tochter Nike auf natürlichem Weg zur Welt. Wir sind sehr glücklich, dass alles gut verlaufen ist. Nike bekommt den weiteren Namen Beatrix, „Die Glück bringende“.

Bevor wir Nike mit nach Hause nehmen dürfen, müssen wir zur Überwachung mit ihr in die angrenzende Kinderklinik. Sie ist mit (leichten) Herzrhythmusstörungen zur Welt gekommen. Zwei Tage nach ihrer Geburt dürfen wir endlich nach Hause.

Für mich beginnt nun ein Untersuchungsmarathon, das Staging. Mein Mann und Nike begleiten mich meistens. Zwischen den vielen Terminen genießen wir die Zeit zu dritt.

Knapp 4 Wochen nach Nikes Geburt geht es zur ersten von 6 Chemos. Meine Mutter kümmert sich in dieser Zeit um Nike. Nach meiner ersten Chemo geht es mir eine Woche sehr schlecht. So schlecht, dass ich nach einer Woche ins Krankenhaus muss und mehrere Infusionen bekomme. Die fünf weiteren Chemos vertrage ich wesentlich besser. Ich achte darauf, dass ich genügend trinke und auch etwas esse. Nach dem Chemoende geht es mit der Bestrahlung los. Meistens habe ich mein Baby dabei. Sie sorgt für etwas Abwechslung im Wartezimmer und ich bin froh, dass ich sie bei mir habe. Die Bestrahlung vertrage ich übrigens ganz gut.

Noch während der Chemozeit, beschäftigen wir uns damit, ein Haus zu kaufen. Wir wollen uns unsere Pläne nicht kaputt machen lassen. Mich lenkt die Haussuche ab. Tatsächlich ziehen wir kein Jahr nach der Diagnose in unser neues Zuhause.

Kurz nach dem Umzug geht es in die Reha nach Grömitz. Es tut mir gut, mit anderen Müttern zusammen zu sein und mich auszutauschen. Ebenfalls genieße ich die Zeit für mich bei den Anwendungen, aber auch die Spaziergänge mit meiner Tochter an der Promenade. Es war eine schöne Zeit.

Kurz vor meiner Reha habe ich übrigens über mein Brustzentrum die Bekanntschaft mit einer jungen Frau gemacht, die es auch in der Schwangerschaft erwischt hat. Zwischen unseren Töchtern liegt nur ein gutes halbes Jahr Altersunterschied und sie verstehen sich gut. Andrea und mich verbindet auch nach 5 Jahren noch eine tiefe Freundschaft. Ein positiver Aspekt der Erkrankung.

Zwei Jahre nach der Diagnose und kurz vor meinem Wiedereintritt ins Berufsleben, dürfen Nike und ich noch mal zur Kur fahren. Diesmal geht es nach Friedrichskoog an die Nordsee. Wir beide genießen die Zeit dort mit lieben Menschen.

Im Oktober 2012, zwei Jahre nach der Diagnose geht es für mich zurück ins Berufsleben. Eine Umstellung für uns drei. Anfangs fällt es mir sehr schwer, mein noch so kleines Kind im Kindergarten zu lassen. Nike gewöhnt sich aber schnell ein und fühlt sich wohl. Zuerst arbeite ich auch nur sehr wenig, dank Wiedereingliederung. Wir gewöhnen uns an unseren neuen Alltag und es geht uns gut. Der Krebs spielt immer weniger eine Rolle in unserem Leben. Natürlich werde ich oft genug daran erinnert. Beispielsweise sind meine Haare und meine Augenbrauen nicht mehr so toll zurück gekommen und ich musste mit einer Augenbrauenpigmentierung und einem Haarteil nachhelfen. Ich fühle mich wohl damit.

Mittlerweile sind 5 Jahre seit der Diagnose vergangen. Ich arbeite wieder voll als Lehrerin und habe den Alltag gut im Griff. Es geht mir gut. Wenn ich mal ein Tief habe, habe ich Freunde, mit denen ich darüber reden kann. Notfalls auch eine Psychoonkologin in der Nähe. Ich gehe noch sehr regelmäßig zur Nach- bzw. Vorsorge. Das gibt mir Sicherheit. Aber ich mache mich nicht verrückt.

Ich blicke optimistisch in die Zukunft.

Autorin: Daniela

Von Verlusten und wiedergewonnener Lebensfreude

Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als mir diese Gedanken zur wohl sichtbarsten Nebenwirkung einer Chemotherapie im Kopf herumspukten.

Eine Kurzhaarfrisur hatte ich zuletzt im Kindergarten Anfang der 90er. In einem halben Jahr wollte ich heiraten, sah dabei meine lange blonde Mähne in halber Hochsteckfrisur und Blumenkranz vor mir. Diese Traumblase hielt ich für geplatzt, zerstört, zusammengekehrt mit dem Scherbenhaufen, den die Diagnose Brustkrebs erst einmal mit sich bringt.

Drei Wochen gaben die Ärzte meinen Haaren nach Verabreichung der ersten Dosis. Zehn Tage waren es. Zunächst bemerkte ich den Haarausfall beim Kämmen und dann beim Duschen. Wenn ich das Abflusssieb kontrollierte, dachte ich jedes Mal, dass ich gar keine Haare mehr auf dem Kopf haben dürfte angesichts der Menge, die ich dort fand. Doch man hat erstaunlich viele Haare.

Mir war von Anfang an klar, dass ich nicht warten würde, bis mir jedes Haar einzeln ausgefallen war. Dann lieber alles auf einmal weg, um diesen traurigen Prozess nicht mitmachen zu müssen; mal ganz abgesehen von der Arbeit, die einem Haare bringen, wenn sie in der ganzen Wohnung verteilt herumfliegen (im wahrsten Sinne des Wortes). Meine Perücken hatte ich schon längst zu Hause, sie saßen gut und niemand konnte erkennen, dass es Zweithaar war. Was hielt mich also noch ab?

Da war dieser Gedanke in meinem Kopf. Ein lustiger Gedanke.

Als Teenager hatte ich lange mit mir gerungen, weil ich eigentlich und unbedingt Dreadlocks haben wollte. Im Endeffekt hatte ich mich aber nie getraut, diese Idee umzusetzen, weil ich wusste, dass sich diese sehr spezielle Frisur nur rückgängig machen lässt, indem man sich irgendwann die Haare ganz abschneidet. Und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, mit kurzen Haaren herumzulaufen. Schon damals war ich überzeugt, dass mir eine Kurzhaarfrisur bestimmt nicht steht.

Und jetzt – wo der Haarverlust unausweichlich war? Da kam eine ungeahnte Freiheit auf mich zu! Warum sollte ich jetzt nicht einfach mal für ein paar Tage verschiedene Frisuren ausprobieren? Warum jetzt nicht total Ausgeflipptes testen, was ich mich sonst nie trauen würde? Was spielte es für eine Rolle, wenn es dann blöd aussähe? Keine. Denn die Haare würden ja so oder so verschwinden.

Okay, das mit den Dreadlocks ging natürlich trotzdem nicht. Wie sollte ich Haare zu Dreads verknoten, wenn sie mir schon bei geringstem Ziehen zuhauf entgegen kamen? Das machte mich aber nicht traurig. Mein Verlobter hatte genug tolle Ideen und – wie sich herausstellte – ein ganz gutes Händchen für einen Frauenkopf und für den perfekten Umgang mit dem Haartrimmer, den er sonst für seinen Bart benutzt. Außerdem besaß er ein super Maß an Einfühlungsvermögen für meine Situation.

Wir starteten mit einem Sidecut – eine dieser neumodischen Frisuren, die zurzeit absolut hihip sind bei den Ü-20 Mädels. Eigentlich nicht so ganz mein Fall, aber es war trotzdem lustig mit dieser Frisur in der Werkstatt aufzutrumpfen, in der mein Wagen zur Reparatur stand. Nicht nur an mir wurde herumgeschraubt.

Dann folgte der Sidecut auf der anderen Seite des Kopfes. Was ergibt sich daraus? Genau: ein wunderwunderschöner Irokesenschnitt. Mein Freund brauchte – gefühlt – eine ganze Tube Haar-Gel und extra starkes Haarspray, um meine langen Haare aufzurichten, aber es klappte tatsächlich. Der erste Blick in den Spiegel schenkte mir ein Lachen (fast war es ein entzücktes Quietschen) aus tiefstem Herzen. Ich freute mich so sehr über die Aktion, fühlte mich unglaublich befreit und endlich wieder menschlich und nicht krank. Eine intensive Fotosession folgte.

Die gleiche Frisur, nur etwas kürzer geschnitten, erfreute am nächsten Abend unseren Besuch. Nachdem unsere Freunde weit nach Mitternacht gegangen waren, merkte ich, wie die Haare unter ihrem eigenen Gewicht langsam nachgaben und einzelne Strähnen einfach umkippten. Der Moment war also gekommen. Es war mittlerweile vier Uhr in der Frühe und ich verlangte von meinem Freund das bisher für unmögliche Gehaltene: „Schneid sie mir ab.“ Und er tat es, wofür ich ihm bis heute unglaublich dankbar bin.

Er setzte mich im Bad so, dass ich mich selbst nicht im Spiegel sehen konnte. Und als er fertig war und ich ihn ängstlich anschaute, kam er zu dem Schluss: „Hey, es ist gar nicht so schlimm. Du hast eine gute Kopfform.“ Ich glaubte ihm kein Wort. Und ich traute mich nicht, in den Spiegel zu schauen. Trotz des Spaßes, den wir mit der Frisuraktion vorweg gehabt hatten, liefen mir nun dicke Krokodilstränen über das Gesicht.

Nach fünf Minuten guten Zuspruchs schaute ich dann schließlich doch in den Spiegel und entdeckte eine junge Frau, die sich bewusst war, dass sie alle Hilfe um sich herum hatte, die sie brauchen würde, wenn sie mal selbst keine Kraft haben sollte, sich aufzurichten. Ich entdeckte eine Frau, die zwar plötzlich ganz anders aussah, aber immer noch sie selbst geblieben war. Es hatte sich nichts geändert. Nur die Frisur.

Quelle: Sonja, Perspektive 03/2014, S.28-29

Die Diagnose Brustkrebs hat meine Familie und mich heftig auf den Boden geworfen. Wir haben Zeit gebraucht bis wir uns wieder davon erholten und aufrappelten. Und schließlich kam es zu einer erneuten Überraschung, die uns allen vor Augen hielt, dass man auch viel Glück im Leben haben kann.

Am 12. September 2011 hatte ich einen Termin bei meinem Gynäkologen. Voller Vorfreude, dass der positive Schwangerschaftstest sich bestätigt, machte ich mich mit meiner ganzen Familie auf den Weg dorthin. Und tatsächlich: das Herzchen unseres kleinen Babys schlug schon. Wir sollten noch mal Eltern werden. Wir waren so glücklich.

„Ich schau noch mal nach Ihrer Zyste in der Brust.“, sagte mein Gynäkologe. Diese hatte ich wenige Monate zuvor entdeckt. Sie war bis dato aber harmlos. Beim Ultraschall der Brust entgleisten dann merklich die Gesichtszüge meines Arztes. Er wurde unruhig und holte einen Kollegen, um seinen Verdacht zu bestätigen. Mein Gynäkologe versuchte mir zu sagen, dass etwas sei. Das Wort Krebs nahm er selbst nicht in den Mund. Er brachte es nicht übers Herz. Er sagte etwas über das Behalten des Kindes. Und viele andere Informationen prasselten auf mich ein. Doch schon nach dem ersten Satz nahm ich nichts mehr auf. Überrumpelt, dass ich mir ein erfahrenes Brustzentrum suchen sollte und mit der Privatnummer meines Arztes in der Tasche, ging ich raus.

Mein Mann war währenddessen draußen auf dem Spielplatz mit meiner dreijährigen Tochter und meinem einjährigen Sohn. Ich konnte ihm die Situation kaum schildern. Als mein Mann noch mal in die Praxis ging, um etwas zu holen, hörte er wie die Arzthelferinnen sagten: „Habt ihr das mitbekommen? Christine ist schwanger und hat Brustkrebs.“ Es war raus. Völlig paralysiert fuhren wir nach Hause. Nach vielen Tränen und ungläubigen Momenten ging alles seinen Lauf.

Drei Tage später hatte ich einen Termin im Brustzentrum. Als die behandelnde Ärztin meine Situation erfuhr und selbst bestätigte, dass es höchstwahrscheinlich Krebs war – es sprach vieles für einen aggressiven Tumor – , klärte sie uns auf, dass wir unser Kind nicht behalten könnten, wenn ich es selbst überleben wollte. Innerhalb weniger Tage mussten wir uns gegen das Baby und für mein Leben entscheiden. Es war der schlimmste Schritt  meines  Lebens. Ich verlor unser Baby und einen Teil von mir selbst.

Da wir mit unserer Familienplanung nicht abgeschlossen hatten und die geplante Chemo meine Fruchtbarkeit höchstwahrscheinlich zerstört, wurde uns geraten, einen Ovar einfrieren zu lassen. Eizellen einfrieren ging nicht, da ich schwanger war und nicht warten konnte, bis es wieder zum Eisprung kam.

Die Chemotherapie war erfolgreich und der Tumor bildete sich restlos zurück. Meine Kinder freuten sich über die Glatze und Langhaarperücke, über Spritzen, Pflaster und viele Spiele im Krankenhaus. Da sie so klein waren, waren sie mehr neugierig als besorgt.

Und schon einige Wochen nach dem Ende der Therapie, der Amputation mit Silikoneinlage und der Reha ging alles wieder seinen gewohnten Gang – mit Haushalt, ein wenig Arbeit und vor allem der Familie.

Zunächst hielt mich die Trauer um unser Baby fest umklammert. Die Angst, dass der Krebs wieder kommt, ließ uns nicht los. Doch der Griff wurde lockerer. Wir entspannten uns. Und im Winter dachten wir dann darüber nach, es im Herbst mit dem Einsetzen des Ovars zu versuchen, um noch ein Baby zu bekommen.

Aber im Frühjahr kam alles anders. Meine Periode kam nach der Chemo immer unregelmäßig. Das war normal. Aber meine Kopfschmerzen kamen nicht wie gewohnt. Aus Spaß meinte mein Mann, ich sollte einen Schwangerschaftstest machen.  Es zeigten sich zwei zarte rosa Linien auf dem dünnen Papierstreifen. Auch der zweite Schwangerschaftstest war positiv.

Zuerst waren wir etwas beunruhigt. Ich fragte bei meiner Onkologin nach, ob das jetzt gut sei. Sie sagte, dass der Zeitpunkt ideal wäre.

So sahen wir wieder ein Herzchen schlagen, rhythmisch und beruhigend. Da ich keinen hormonellen Brustkrebs hatte, war die Wahrscheinlichkeit, dass sich die hormonelle Umstellung auf die Neubildung eines Tumors auswirken würde, gering. Ich setzte nach und nach alle Medikamente ab. Zur Sicherheit ließ ich mir zur Überwachung die Tumormarker bestimmen und die Onkologin machte öfter einen Brustultraschall.

Die Wochen und Monate vergingen, in denen unser Baby wuchs und sich kräftig entwickelte. Schließlich war es soweit. Unsere kleine Tochter kam gesund und munter auf die Welt. Wir konnten unser Glück kaum fassen.

Da ich meine anderen beiden Kinder gestillt hatte, wollte ich es nun auch bei unserer Kleinen versuchen. Die Frage nach dem Stillen konnte erst nach der Geburt geklärt werden, da restliches Milchdrüsengewebe in der operierten Brust dies zum Problem werden lassen konnte. Zwar bildeten sich feste Knötchen, aber eine Entzündung blieb aus. Nach einer Woche wurde das Gewebe auch wieder weicher. Und mein Baby wurde auch von einer Seite satt.

So fügte sich nach katastrophalen Zeiten und Erlebnissen alles zu einem glücklichen Ende. Unserem Familienglück stand nichts mehr im Wege und die Hoffnung, dass der Krebs nie mehr wiederkommt, trägt unsere Gedanken.

Autorin: Christine

Noch ein paar Fakten zum Thema: 

Nach einer Studie von Patricia A. Ganz u.a., veröffentlicht im Journal of Clinical Oncologie, Vol. 21, No 22 (15.11.2003), in der es u.a. um die Fortpflanzungsfähigkeit von an Brustkrebs erkrankten Patientinnen geht, wurde festgestellt, dass von hier beobachteten 577 (308 Frauen zwischen 25-44 Jahren) Frauen nur noch 3 ein Kind nach der Krebserkrankung bekamen. Diese befanden sich im Alter von 25-34 Jahren (2 Geburten) und im Alter von 35-39 Jahren (1 Geburt).

Nach der Therapie nahm die Anzahl der sich in der prämenopausalen Phase befindlichen Frauen mit höherem Alter rapide ab. Waren von den 25-34 jährigen Patientinnen noch 60% prämenopausal (-33% vor der Therapie), bekamen von den 35-39 Jährigen noch 39% (86% waren prämenopausal vor der Therapie) und von den 79% der 40-44jährigen Patientinnen nur noch 13% ihren Zyklus (-66% nach der Therapie). Daraus lässt sich schließen, dass sich der Hormonhaushalt jüngerer Erkrankter wesentlich besser von der Krebstherapie erholt und somit die Fruchtbarkeit wiedererlangt bzw. erhalten werden kann als bei etwas älteren Patientinnen. Zudem stellt die Sorge vor einer Rückkehr der Erkrankung sowie möglicherweise das Vorhandensein von Spät- und/oder Langzeitfolgen ein großes Hemmnis dar, überhaupt schwanger werden zu wollen.

Kein Zweifel, gewöhnlich sieht man mich als starke Frau: Als alleinerziehende Mutter zweier Kinder (18 und 15 Jahre) aus dem kleinen Städtchen Plettenberg in Nordrhein-Westfalen engagiere ich mich bundesweit für die Frauenselbsthilfe nach Krebs. Ich gelte als ausgewiesene Expertin und Trainerin im Bereich „Sport als Krebsnachsorge” und leite in meiner Heimatstadt eine eigene Krebssportgruppe.

Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da lagen dunkle Schatten auf meiner Seele – als bei mir im Jahr 2007 Brustkrebs diagnostiziert wurde. Ich lebe gesund: Ich rauche nicht, trinke nicht, ernähre mich ausgewogen, treibe viel und regelmäßig Sport. Der erste Schock nach der Brustkrebs-Diagnose saß daher tief. Nach der OP folgte das volle Programm: Chemo und Bestrahlung – mit all ihren schlimmen Nebenwirkungen. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Den Kindern verheimlichte ich zunächst die Krebserkrankung, umschrieb alles als harmlos. Ich wollte den Moment der Wahrheit so lange wie möglich hinauszögern. Die Kinder erfuhren es doch. „Mama, du brauchst mir nicht die Haare zu waschen. Wenn du bald nicht mehr da bist, muss ich es ja auch alleine machen”, sagte meine zu der Zeit sechsjährige Tochter Jeannine. Diese Worte veränderten alles: „Ich bin immer für dich da, Mama geht nicht“ – das habe ich meiner Tochter damals versprochen.

Was mich in den Jahren danach wieder in die richtige Spur brachte und mir heute Kraft und Ruhe gibt, waren spezielle Nachsorgemaßnahmen.

Ein Familienleben fand gar nicht mehr statt

Das Familienleben blieb von Erkrankung und Therapie nicht unberührt. Ehrlich gesagt, fand ein Familienleben gar nicht mehr statt. In dieser Zeit war kein normaler Tagesablauf mehr möglich. Die Kinder mussten oft auf mich verzichten. Daher stand für mich fest, dass ich nur gemeinsam mit meinen Kindern zu einer Reha-Maßnahme als Anschluss-Heilbehandlung fahren würde. Und ich wollte unbedingt in die Mutter/Vater-Kind-Klinik nach Grömitz an der Ostsee, über die ich durch eine Fernsehsendung erfahren hatte. Dort wird in Zusammenarbeit mit der renommierten Rexrodt von Fircks Stiftung ein Reha-Konzept speziell für an Brustkrebs erkrankte Frauen und deren Kinder angeboten, das auf wissenschaftlichem Fundament fußt und sich bewährt hat. Ein dreiviertel Jahr hat es gedauert, bis ich endlich fahren durfte – vermutlich, weil die beiden Kliniken in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen kaum bekannt waren.

Die Rolle der Psyche im Kampf gegen Krebs

Die drei Wochen an der Ostsee haben mich nicht nur sehr motiviert, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Ich hatte endlich auch wieder Ziele vor Augen. Allerdings erkannte ich, dass es andere Ziele als vor meiner Krebsdiagnose waren. Während der Kur wurde mir außerdem bewusst, welch wichtige Rolle die Psyche beim Umgang mit der eigenen Erkrankung spielt. In Grömitz spielte erstmals auch mein seelischer Zustand und die psychologischen Aspekte der Krankheit eine Rolle. Die Einzel- und Familiengespräche während der Zeit in Grömitz waren sehr wertvoll. Von diesen Erfahrungen profitieren wir als Familien noch heute.

Mutter-Kind-Kur gab Initialzündung zu Krebssportgruppe

Und ich kam dort auf eine Idee, von der heute andere krebskranke Frauen profitieren: Als leidenschaftliche Sportlerin und ausgebildete Übungsleiterin entschloss ich mich, eine Zusatzausbildung für den Rehabilitationssport zu absolvieren. Gleich nach der Kur belegte ich einen entsprechenden Lehrgang „Sport als Krebsnachsorge” und spezialisierte mich auf die sporttherapeutischen Bereiche Orthopädie sowie Innere Medizin. Anfang 2009 gründete ich in Plettenberg eine eigene Krebssportgruppe im Schwimmverein. Heute ist der Verein zertifiziert und ich betreue erfolgreich verschiedene Reha-Sportgruppen.

Folgen der Therapie schlimmer als der Krebs

Obwohl ich auch nach meiner Erkrankung viel Sport trieb, fühlte ich mich trotzdem, als wäre Blei in meinem Körper. Ich solle mehr Sport treiben, rieten die Ärzte – ausgerechnet mir als Sportlerin! Die Ursache für das bleierne Gefühl war aber nicht Bewegungsmangel, sondern ein Lymphödem, das sich immer mehr verschlechterte. Eine Folge der Bestrahlung während der Krebs-Therapie. Diese Nebenwirkung wird mich wohl mein Leben lang begleiten.

Die Schwellungen beginnen morgens im Gesicht und an den Händen und enden abends in den Beinen. Das ist für mich schlimmer, als die Diagnose Krebs. Ich muss regelmäßig Lymphdrainagen bekommen und täglich Kompressionsstrümpfe tragen – mein Leben lang! Den Krebs besiegt, aber an den Nebenwirkungen gescheitert? „Das darf nicht sein!“, sagte ich mir.

Psycho-Prävention vor Gericht erstritten

Eine zweite Maßnahme in Zusammenarbeit mit der Rexroth von Fircks Stiftung sollte mich einen großen Schritt weiterbringen, diesmal während einer Präventionskur an der Mutter/Vater-Kind-Klinik Nordseedeich in Friedrichskoog. Unter dem Motto „Zusammen stark werden” wird dort seit Jahren erfolgreich ein spezielles familientherapeutisches Programm für Mütter nach überstandener Krebserkrankung und deren Kinder angeboten.

Beim dreiwöchigen Kurprogramm im Sommer 2012 an der Nordsee konnte ich meinen Akku wieder aufladen und mein inneres Gleichgewicht wieder herstellt. Allein, bei der Wasser-Gymnastik endlich mal die Kompressionsstrümpfe abstreifen dürfen, war für mich schon eine Befreiung für Kopf und Seele. Abschalten, Kraft tanken, allein in der Natur spazieren gehen ohne schlechtes Gewissen, weil ja die Kinder gut versorgt sind – solche Ruhephasen sind sehr wichtig. Der Körper ist nach einer Krebserkrankung und nach der Krebs-Therapie nicht mehr so belastbar. Hält man Ruhephasen nicht ein, kann man auf Dauer auch nicht gesund bleiben. Dass dies auch im Alltag geht, lernte ich während der Kur.

Die beiden Kurmaßnahmen in Grömitz und Friedrichskoog haben mich und meine Kinder stark gemacht. Gemeinsam meistern wir ein komplett neues Leben nach dem Krebs. Heute bringe ich das Tabuthema Krebs mit meinem Engagement in der neuen Familienselbsthilfegruppe der FSH an die Öffentlichkeit, helfe nun selbst krebskranken Menschen und kämpfe für sie um mehr Lebensqualität. Denn ich weiß aus eigener Erfahrung: Betroffene Frauen sollen mehr an sich denken, ihren Gefühlen freien Lauf lassen und versuchen, Träume und Wünsche zu verwirklichen. Wenn man langfristige Ziele vor Augen hat, ist der Wille stärker. Man weiß wofür man kämpft. Ich wusste es von Anfang an: Ich hatte es meiner Tochter versprochen…

Autorin: Annette

Ich bekam meine Brustkrebs-Diagnose im Jahr 2003. Damals war ich 27 Jahre alt, gerade in den Beruf eingestiegen und kinderlos. Den Tumor hatte ich zufällig selbst getastet. Die Ärzte nahmen zum Glück alles ernst und bemühten sich sehr um meine Genesung.

Ich wurde brusterhaltend operiert, man entfernte mir 20 Lymphknoten, von denen glücklicherweise keiner befallen war und es auch in der Folge keine Lymphödeme gab. Dann kam das Standardprogramm laut Richtlinie: Chemotherapie – ein Alptraum: Ich musste sehr viel erbrechen, hatte keine Kraft, mich um mich selbst zu kümmern und musste zu meinen Eltern zurückziehen; Bestrahlung – außer Müdigkeit –  ohne Nebenwirkungen; Hormontherapie mit GnRH-Analoga und Tamoxifen. Vor der Chemo wurden keine Eizellen entnommen. Ich wurde auch nicht gefragt. Darüber war ich aber sogar sehr froh, denn das hätte mich zu diesem Zeitpunkt überfordert.Die Behandlungszeit strengte mich körperlich extrem an. Seelisch habe ich das aber überraschend gut verkraftet – ich hatte davor bereits an Depressionen gelitten – und durch die Krankheit ein Selbstbewusstsein gewonnen, das ich mit Jahren der Psychotherapie nie erlangt hätte. Ich setzte mich sehr bewusst mit der Krankheit auseinander, besuchte eine Selbsthilfegruppe und nahm eine Psychoonkologin in Anspruch.

Leider habe ich die Hormontherapie überhaupt nicht vertragen. Ich war ständig erschöpft, konnte mich schwer konzentrieren und bekam wieder Depressionen. An Arbeit, soziales Leben oder Sport war nicht zu denken. In Absprache mit meinem Onkologen nahm ich Tamoxifen nur zwei statt der damals empfohlenen fünf Jahre lang. Die GnRH-Analoga nahm ich, wie vorgesehen, zwei Jahre lang. Ich möchte betonen, dass ich Tamoxifen nicht wegen eines Kinderwunschs absetzte, sondern weil meine Lebensqualität so sehr vermindert war, dass mir die Lust am Leben vergangen war.  Zum Glück kam diese nach dem Absetzen bald zurück.

Ein paar Monate nach Absetzen der Medikamente, da war ich 30 Jahre alt, hatte ich wieder meinen normalen Zyklus. Da ich in der Zeit auch meinen jetzigen Mann und Vater unseres Sohnes kennenlernte, fing ich an, mich mit dem Kinderwunsch nach (hormonabhängigem) Krebs zu beschäftigen, ohne aber zu dem Zeitpunkt Kinder haben/planen zu wollen. Damals lagen noch keine Studien zu dem Thema vor, aber erste Hinweise darauf, dass es möglich sei, schwanger zu werden. Mein Onkologe und meine Gynäkologin rieten mir, auf jeden Fall noch zwei Jahre damit zu warten, um genügend Abstand zu Chemo- und Hormontherapie zu haben.

2009 war es soweit: Ich war seit sechs Jahren tumorfrei und die Behandlung lange genug her. Ich wurde gleich schwanger. Alle, aber auch wirklich alle, freuten sich darüber. Von keiner Person, keinem Arzt hörte ich Zweifel. Die Hebammen, die Geburtsärzte im Krankenhaus, alle waren etwas stolz und aufgeregt, bei einer solchen Schwangerschaft und Geburt dabei sein zu dürfen. Ich fand es toll, ein bisschen besonders zu sein. Zum Glück gab es bereits Studienergebnisse, die alle Zweifel beseitigen konnten.

Die Schwangerschaft war ein einziger Glücksrausch der Hormone. Ich hatte keine besonderen Schwierigkeiten und auch keine speziellen Vorsorgeuntersuchungen. Der einzige Punkt, der mir Sorgen bereitete, war die Geburt im Krankenhaus. Ich befürchtete, dass hier negative Erinnerungen hochkommen würden. Aber zum Glück gibt es in Hamburg genügend Krankenhäuser, die alles tun, damit sich Gebärende wohlfühlen. Da ich seit der Chemo Kanülen nur noch sehr schwer ertragen kann, bat ich die Ärzte, darauf Rücksicht zu nehmen. Sie haben überraschend verständnisvoll darauf reagiert. Leider konnten weder sie noch ich wissen, dass es ein Not- Kaiserschnitt werden musste und ich nicht um Kanülen herumkommen konnte! Allerdings war mir das in jenem Moment auch egal. Ich lag nur da und sagte zum Anästhesisten: „Ich habe Krebs überlebt, jetzt lassen Sie mich hier nicht bei einem Kaiserschnitt abkratzen!“ (Ich meine zumindest, dass ich es laut gesagt habe, gedacht auf jeden Fall!)

Léos Start ins Leben war also nicht so wunderbar, wie man sich das erhofft. Aber das hätte auch ohne Krebs-Vorgeschichte passieren können. Was leider ebenfalls schief lief – und das wäre vielleicht mit einer heilen Brust nicht passiert – war das Stillen. Die Hebamme drängte mich zum Stillen. Ihr Kommentar: „Zwillingsmütter haben ja auch nur eine Brust pro Kind. Das kannst du also auch schaffen.“ Es war dennoch eine Qual für mich und Léo. Und der Vorschlag, die Muttermilch abzupumpen und sie über einen kleinen Schlauch zur Brustwarze zu führen, damit es möglichst natürlich wäre, hätte mich zu sehr an die Chemo und den damit verbundenen Port erinnert. Ich merkte, dass ich mit meinem Unwillen zu stillen auf nur wenig Verständnis traf. Eine Kinderärztin erlöste mich von diesem Dilemma: Sie stellte fest, dass Léo unterernährt war und ich zu wenig Milch hatte. Ab da gab es Fläschchen.

Heute ist Léo ein aufgeweckter, freundlicher und völlig gesunder Sechsjähriger. Von meiner Erkrankung weiß er nichts. Für mich persönlich ist das Thema zwar nicht abgeschlossen – das wird es nie sein –, aber es steht nicht mehr ständig im Mittelpunkt. Ich kann ohne Ängste zu den Nachsorge-Untersuchungen gehen. Der Krebs ist nun ein Teil von vielen meiner Vergangenheit. In Kontakt zur Krankheit komme ich nur über mein Engagement bei der NetzwerkStatt Krebs. Hier berichte ich viel von meinen Erlebnissen. Krebs ist kein Tabu, er wird aber auch nicht ständig thematisiert.

Leider habe ich seit der Erkrankung sehr viel meiner früheren Energie eingebüßt. Alle Mütter, mit denen ich mich austausche, berichten natürlich über Erschöpfung, aber sie gehen eben dann doch noch zum Sport oder zu einer Verabredung. Das kann ich nicht. Ich muss sehr gut mit meinen Ressourcen haushalten. Vieles wird mir schnell zu viel: Nochmal eben auf den Spielplatz oder zum Einkaufen – schaffe ich häufig nicht. Mittagspause muss sein. Früh ins Bett auch.

Ich bin sehr froh, dass ich genau die Zeit zwischen Krankheit und Kind hatte, um alles zu verarbeiten. Hätte ich die Krankheit noch nicht verarbeitet gehabt, hätte ich kein Kind haben wollen. Ich schätze diesen Luxus, dass ich beides haben konnte: Zeit zur Verarbeitung und ein Kind. Ich denke, dadurch, dass ich schon einmal in einer Situation war, in der sich das ganze Leben veränderte, bin ich entspannter an einige Kinder- und Erziehungsthemen herangegangen. Mein Sohn isst Sand? Fährt ohne Radhelm auf dem Laufrad? Hat mit sechs Jahren noch einen Schnuller? Stirbt jemand davon? Nein, dann ist es nicht weiter schlimm. Ich weiß, dass ich meinen Sohn nicht vor allem beschützen kann. Ich habe immer vernünftig gelebt, Gemüse gegessen, Sport getrieben, nicht geraucht und habe trotzdem Krebs bekommen. Was kommt, das kommt. Sich verrückt machen bringt also nichts.

Autorin: Claudia

Als ich im Jahr 2015 an Brustkrebs erkrankte, tröstete ich mich und meine Familie damit, dass Brustkrebs inzwischen heilbar ist. Meine Chancen stünden bei 80 Prozent, dass ich mit dieser Krankheit nie wieder was zu tun haben würde, dachte ich.

Tja, zwei Jahre später erfuhr ich, dass ich leider zu den restlichen 20 Prozent gehöre: Anfang 2017 wurden bei mir eine Lebermetastase und zwei Knochenmetastasen festgestellt. In diesem Stadium ist eine Heilung nur noch in ganz seltenen Fällen möglich. Meine Hausärztin machte mir Hoffnung, dass ich zu den wenigen Glücklichen gehören könnte, da ich nur einige wenige Metastasen habe (sogenannte Oligometastasierung).

Meine Gynäkologen sehen das anders: Sie prophezeien mir, dass die Krankheit zwar immer wieder zeitweise gestoppt werden kann, dann aber wieder auftreten wird, bis sie irgendwann nicht mehr zu stoppen sein wird. Sie geben mir noch Jahre. Das können zwei Jahre sein oder auch 20 Jahre. Auf jeden Fall gelte ich als chronisch krank und muss dauerhaft Medikamente nehmen: Zur Zeit sind das eine Antihormon-Therapie, eine zielgerichtete Therapie sowie ein Mittel, das die Knochen schützt. Diese Medikamente nehme ich, bis die Krankheit fortschreitet – dann wird auf andere Medikamente gewechselt, höchstwahrscheinlich auf eine Chemotherapie – oder bis ich sie wegen der  Nebenwirkungen nicht mehr vertrage. Zum Glück wirken die Medikamente bis jetzt und die Nebenwirkungen sind auch noch gut erträglich: Wechseljahrs-Beschwerden, Müdigkeit, vermehrter Haarausfall (aber keine Glatze!) und niedrige Blutwerte, die aber keine Beschwerden verursachen.

Wie lebt es sich, wenn man im Alter von 44 Jahren und mit zwei Kindern, neun und elf Jahre alt, so unklare und tendenziell schlechte Zukunftsaussichten hat? Die meisten Tage verlaufen erstaunlich normal. Ich arbeite in Teilzeit, ich mache den Haushalt, kümmere mich um Mann und Kinder und gehe meinen Hobbys nach. Wenn es mir körperlich gut geht, vergesse ich die Krankheit manchmal komplett.

Aber wehe es ziept irgendwo oder ich erfahre von irgendjemanden, dessen Krebserkrankung weiter fortgeschritten ist. Dann kommen die Sorgen und Ängste hoch: Wie lange werde ich noch leben? Kann ich für meine Kinder da sein, bis sie erwachsen sind? Wie rasch wird die Krankheit fortschreiten? Wie wird es mir und meiner Familie körperlich und psychisch gehen, wenn das Ende nah ist? Viele Fragen, auf die keiner die Antwort weiß – außer vielleicht dem lieben Gott. Und darüber zu grübeln, bringt mich auch kein bisschen weiter.

Zielführender ist da schon die Frage: Wie will ich die Zeit verbringen, die mir noch bleibt? Vor allem die Zeit jetzt, in der die Lebensqualität noch gut ist und ich weder durch die Krankheit noch durch die Therapien stark eingeschränkt bin. Früher habe ich immer gedacht: Wenn ich einmal erfahren sollte, dass ich schwer krank bin und nur noch kurze Zeit zu leben habe, dann schmeiße ich alles hin und reise um die Welt. Mit zwei schulpflichtigen Kindern ist das nicht so einfach. Und eigentlich habe ich auch gar nicht das Bedürfnis, eine Weltreise zu machen. Ich möchte einfach nur den Alltag wie bisher mit meiner Familie leben. Ist doch eigentlich ein gutes Zeichen, dass mein Leben offenbar so erfüllend ist, dass ich es auch kurz vor Schluss nicht ändern möchte, oder? Oder ist es nur ein Zeichen dafür, dass ich noch nicht bereit dazu bin, der neuen Realität aus Krankheit, Siechtum und Tod ins Auge zu blicken? Dass ich stattdessen lieber den Vogel Strauß spiele, der sich im Alltag versteckt und so tut als wäre nichts?

Wie man sieht, beobachte ich meinen eigenen Umgang mit der Krankheit sehr wachsam. Die Gründe dafür liegen in meiner Vergangenheit. Ich bin nicht die erste Krebskranke in meiner Familie. Mein Vater hatte ebenfalls Krebs: Ersterkrankung mit 44, Metastasen mit 50, Tod mit 51 Jahren. Er war vor der Erkrankung ein sehr realistischer Mensch, der auch nicht übermäßig gläubig war. In den Jahren zwischen der Ersterkrankung und den Metastasen steigerte er sich aber in einen religiösen Wahn: Zum Dank für seine Heilung musste jedes Jahr eine Wallfahrt gemacht werden. Um eine Wiedererkrankung abzuwenden, wurden jeden Tag drei Rosenkränze gebetet. Als dann die Metastasen diagnostiziert wurden und er relativ schnell schulmedizinisch als austherapiert galt, war seine einzige Hoffnung „positives Denken“. Er ging darin so sehr auf, dass niemand mit ihm über den Tod sprechen durfte, auch nicht meine Mutter. Noch Tage vor seinem Tod versprach er meinen Schwestern einen tollen Urlaub, den er mit ihnen im nächsten Jahr machen würde, da er dann wieder gesund sei.

Ähnliche Wesensveränderungen habe ich in meiner Kindheit auch an zwei Brustkrebs-Patientinnen wahrgenommen, einer Nachbarin und einer entfernten Verwandten. Sie haben mir schon damals Angst gemacht. Und heute tun sie es noch viel mehr. Es ist schlimm, wenn der Körper sich durch die Krankheit verändert. Es ist noch schlimmer, wenn der Geist sich durch die Krankheit verändert, durch Hirnmetastasen oder ähnliches. Aber wenn sich die Psyche eines Menschen so vollkommen verändert, ist das nicht am schlimmsten? Dann stirbt die alte Persönlichkeit schon vor dem Körper. Wobei es natürlich klar ist, dass eine so schwere Erkrankung an der Psyche nicht spurlos vorübergehen kann. Und häufig sind die Veränderungen ja auch positiv. Ich denke zum Beispiel, dass ich durch die Erkrankung gelassener, dankbarer und demütiger geworden bin. Und: Was den Mitmenschen als negative Persönlichkeitsveränderung auffällt, sieht der Betroffene eventuell ganz anders. Meinem Vater ging es gut mit seinem religiösen Eifer und seiner positiven Denke. Anders hätte er die Krankheit vermutlich nicht ertragen.

Ich muss meinen eigenen Weg finden, mit der Erkrankung und dem – vermutlich frühen – Tod umzugehen. Momentan ist mein Credo: Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich seit der Diagnose lebe. Ich genieße jeden Tag. Ich versuche, mir keine Sorgen zu machen über das, was kommen könnte. Durch gedankliche Vorwegnahme kann ich die Zukunft nicht verbessern, vielmehr verderbe ich mir damit nur die Gegenwart. Wenn die Situation sich ändert, habe ich immer noch genügend Zeit, mich damit zu befassen. Zum Glück habe ich auch Unterstützung durch eine Psychologin. Mein Mann ist mir ebenfalls eine große Stütze. Und meine Kinder helfen mir insofern, als dass sie voll im Hier und Jetzt leben und mir damit ein gutes Beispiel geben.

Wünschenswert wäre es, wenn viel mehr Leute darüber Bescheid wüssten, was es heißt, mit metastasiertem Brustkrebs zu leben. Ich bekomme selten adäquate Reaktionen. Entweder die Leute sehen mich schon mit zwei Beinen im Grab stehen – statt nur mit einem Bein – und sprechen mir schon jetzt quasi ihr Beileid aus, oder sie meinen, ich werde den Krebs schon wieder besiegen – wie damals den Primärtumor. Dass die Krankheit inzwischen chronisch ist, man viele Jahre mit guter Lebensqualität damit leben, letztlich aber nicht geheilt werden kann, das wissen leider nur sehr wenige. Ich hoffe, durch diesen Artikel sind es ein paar mehr geworden!

Autorin: Agnes